Stranger Things trifft Stand By Me
07.11.2024 | Coming-of-Age-Thriller „Spirit in the Blood“ startet in den Kinos
Mit „Spirit in the Blood“ legt Carly May Borgstrom einen zugleich warmherzigen wie nervenaufreibenden Debutfilm hin. Von Screen Daily wurde der Coming-of-Age-Thriller (neben Mohammad Rasoulofs „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ und der Serie „Schwarze Früchte“) als eins von drei großen Highlights beim diesjährigen Filmfest Hamburg hervorgehoben. Heute startet die Junafilm-Produktion in den deutschen Kinos – und wird sicher nicht nur Teenager und Genrefans begeistern.
von Marcel Wicker
Stranger Things trifft Stand By Me – so verspricht es das Filmplakat. Was zuerst nach einer sehr selbstbewussten Behauptung klingt, kann sich beim Schauen schnell als Wahrheit behaupten: Als ein Mädchen tot im Wald einer verschlafenen, kanadischen Gemeinde gefunden wird, vermuten die Bewohner*innen schnell einen Raubtierangriff. Die 15-jährige Emerson aber glaubt nicht an diese Version. Gerade erst mit ihrer Familie in die tiefreligiöse Gegend gezogen, wurde sie hier bereits selbst von einem „Monster“ im Wald verfolgt. Glauben schenkt ihr nur ihre neue beste Freundin Delilah – und gemeinsam mit einer Gruppe weiterer Mädchen beschließen sie, ihre dunklen Kräfte zu entfesseln und der Kreatur in den Wäldern den Kampf anzusagen. Schnell entwickelt sich ein atmosphärischer, treibender Thriller, der weit über Emersons Erlebnisse in der kanadischen Provinz hinausgeht und von einem universellen Horror erzählt, wie ihn viele junge Frauen erleben.
„Die Geschichte wurde durch einen Vorfall inspiriert, der mir als Siebenjährige passiert ist“, erzählt die in Kanada aufgewachsene Regisseurin Carly May Borgstrom. „Ich war auf dem Schulhof, als sich mir ein fremder Mann näherte und versuchte, mich in sein Fahrzeug zu ziehen. Als ich Erwachsenen davon erzählte, glaubten sie, ich hätte mir das nur ausgedacht. Damit begann eine lange und komplizierte Beziehung zu meiner eigenen Angst und meinem Sicherheitsgefühl innerhalb von Gemeinschaften, insbesondere als Frau.“
"Das Thriller-Horror-Genre ist ein durch und durch politisches Genre", erklärt Produzentin Verena Gräfe-Höft. "Filme wie ‚Get Out‘ verarbeiten immer wieder komplexe gesellschaftspolitische Themen und geben uns damit die Möglichkeit, unserer kollektiven Angst konstruktiven Ausdruck zu geben". Mit dem politischen Genrefilm hat ihre Produktionsfirma Junafilm mittlerweile 15 Jahre Erfahrung. Ihr Kinospielfilm „Tore tanzt“ (Regie: Katrin Gebbe), der von menschlichen Abgründen und der Suche nach Zugehörigkeit erzählt, feierte 2013 seine Weltpremiere in Cannes. „Schlaf“ von Michael Venus beschäftigt sich mit generationellem Trauma und wurde als erster Horrorfilm überhaupt mit dem Grimme Preis ausgezeichnet. Grund für den Erfolg, den Junafilm mit ihren Produktionen nicht nur bei Jurys und Festivals hat, ist sicherlich auch die Tatsache, dass das Grauen darin nie reiner Selbstzweck bleibt. Ganz im Gegenteil: „Psychologisch brauchen wir diese Art von Geschichten ganz dringend! Wir treffen uns in einem dunklen Kinosaal, lachen, weinen, gruseln uns zusammen – und sind mit unseren Emotionen nicht mehr alleine.“
So ist „Spirit in the Blood“, bei aller Spannung, eben auch und vor allem ein Film über Freundinnenschaft und Selbstermächtigung, in dem immer wieder die Hoffnung auf Veränderung spürbar wird. Emerson und ihre Freundinnen leben in einer Welt, in der Familie und Dorfgemeinschaft für sie mehr Bedrohung als Schutz bedeuten. Aber als sie sich zu einer eigenen kleinen, kultartigen Gemeinschaft verbünden, können sie auch eigene Regeln aufstellen und sich Stück für Stück gegen Autoritäten (Kirche, Eltern) und Bedrohungen (Monster, Männerfiguren) auflehnen.
Die mysteriöse Atmosphäre, die sich durch das Setting, die Bildgestaltung und die Musik ergibt, erinnert tatsächlich immer wieder an Serien wie „Stranger Things“. Und auch die abenteuerliche Coming-of-Age-Story kann einem Vergleich zu Stand By Me standhalten – nur eben mit moderner Inszenierung und aus weiblicher Perspektive.
Apropos weibliche Perspektive: Wie im Film selbst, so sind auch in der Crew dahinter viele der entscheidenden Positionen weiblich besetzt. Kamera führte beispielsweise die Hamburgerin Zamarin Wahdat, die 2020 für den Kurzfilm „Learning to Skateboard in a Warzone (If You Are a Girl)“ mit dem Academy Award und ein Jahr später für „Bambirak“ in Sundance ausgezeichnet wurde. Überhaupt sind an der deutsch-kanadischen Koproduktion, die komplett in Kanada gedreht wurde, sehr viele kreative Hamburger*innen beteiligt. Kreatives Potential, das international bestehen kann – findet auch die gebürtige Kanadierin Carly May Borgstrom.
Sie hat Verena Gräfe-Höft während ihres Studiums an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg kennengelernt, kannte bereits „Tore tanzt“ und wusste schnell, dass sie mit ihrer Geschichte an der richtigen Adresse ist: „Verena ist eine Produzentin, wie es sie selten gibt. Sie unterstützt das kreative Wachstum von Projekten, ist aber auch unnachgiebig in ihrer Entschlossenheit und kann das Unmögliche möglich machen, um ein Projekt zu realisieren.“ „Spirit in the Blood“ ihr erster gemeinsamer Film, wird aber, so viel verrät Gräfe-Höft, nicht der letzte sein. Die beiden entwickeln aktuell bereits ein neues Projekt – natürlich einen Genrefilm.
„Spirit in the Blood“ ist ab dem 07. November 2024 in den Kinos zu sehen.