Hier wachsen Geschichten
22.03.2024 | Erste NEST Space-Woche in Schleswig-Holstein
Im März kamen in Schleswig-Holstein das erste Mal 14 Autor*innen für den neuen NEST Space der MOIN Filmförderung zusammen. Gemeinsam mit zwei Tutor*innen der Initiative Le Group Ouest arbeiteten sie fünf Tage lang intensiv an ihren Ideen und Figuren. Wir haben für euch hinter die Kulissen geschaut.
Von Daniel Szewczyk
Wie lernt man die Charaktere seiner eigenen Geschichte am besten kennen? Genau, man macht einfach eine Therapiesession mit ihnen. „Wir sind in die beiden Hauptfiguren unserer Serie ‚Alaska und Canada‘ geschlüpft und haben eine fiktive Paartherapie gemacht. Dabei sind uns die Ängste unserer Figuren nochmal viel klarer geworden. Klingt verrückt, ist aber eine tolle Erfahrung“, verraten die Autor*innen Bineta Hansen und Kerstin Polte. Gemeinsam mit 12 weiteren Teilnehmer*innen haben sie Mitte März am ersten NEST Space der MOIN Filmförderung teilgenommen. Fünf Tage Kreativarbeit auf dem ländlich gelegenen Werkgut im Schleswig-Holsteinischen Meezen.
Was die Autor*innen vor Ort genau erwarten würde, wusste bis Tag 1 niemand aus der Gruppe: „Alle kannten den ungefähren Tagesablauf – doch wie wir uns den Geschichten nähern würden, zeigte sich erst Stück für Stück während des Arbeitsprozesses. Wir wollen neue Blickwinkel kreieren und die Teilnehmer*innen dazu ermutigen, neuen und unkonventionellen Ideen nachzugehen und diese nicht direkt wieder zu verwerfen“, sagt Bohdan Piasecki, der an der University of Birmingham Professor für kreatives Schreiben ist. Gemeinsam mit der Filmemacherin und Locarno-Gewinnerin Ralitza Petrova aus Bulgarien bildete er das Tutor*innen-Team für die fünf Arbeitstage. Beide arbeiten für die europäische Initiative Le Group Ouest, die sich als kreative Schreibwerkstatt versteht und mit MOIN für den NEST Space kooperiert.
Die Arbeitstage bestanden grob aus zwei Teilen: Einer Arbeitssession am Vormittag gefolgt von einer zweiten Session am Nachmittag. Dabei wechselte sich das Arbeiten in großer Runde mit Gruppen- oder auch Individualsessions ab. Eine Überraschung gab es dabei gleich zu Beginn: „Ich hätte gedacht, dass wir viel mehr schreiben müssen. Dabei gab es superviele Übungen, bei denen wir unsere Geschichten einfach immer wieder auf eine andere Art und Weise erzählen mussten“, sagt Autorin und Schauspielerin Bineta Hansen und lacht. So bekamen die Teilnehmer*innen etwa die Aufgabe, ihre Story in verschiedenen Zeitspannen zu erzählen. Was also, wenn die Geschichte in nur einer Nacht spielt? Oder zehn Tagen? Oder einem Jahr? Eine Herausforderung, die bestimmte Aspekte einer Geschichte nochmal besonders herauskitzelt. „Wir bedienen uns während des Workshops verschiedener Techniken des mündlichen Geschichtenerzählens. Man beginnt irgendwann zu improvisieren und es kommen völlig neue Ideen dabei heraus“, sagt Tutor Piasecki.
Doch neben dem Geschichtenerzählen näherte die Gruppe sich ihren Figuren und Geschichten auch visuell: „An einem Tag waren wir in der Natur unterwegs und haben Fotos von der Landschaft gemacht. Anschließend mussten wir uns das Foto heraussuchen, zu dem wir die größte Verbindung spüren – und schauen, wie wir es in unsere Geschichte integrieren können“, sagt Autorin Nastia Korkia, die aktuell an dem experimentellen Dokumentarfilm „Bering Strait“ schreibt. Auch Mindmaps, Storyboards und andere Zeichnungen gehörten zum Portfolio, mit denen die Gruppe an ihren Filmen und Serien arbeitete. „Wir sind wirklich tief in unsere Geschichten eingestiegen und es kamen viele spannende Fragen aus der Gruppe heraus. Mein Skript ist jetzt klarer und präziser geworden“, sagt Hamburg Media School-Absolventin Malika Musaeva, in deren Spielfilmprojekt es um eine tschetschenische Familie auf der Flucht geht.
Dabei waren die Stories und Ideen, welche die Teilnehmer*innen mit nach Meezen brachten, in ganz unterschiedlichen Stadien: „Manche hatten schon seit mehreren Jahren immer mal wieder an ihrer Geschichte gearbeitet, andere brachten lediglich ein paar spannende Charaktere mit in unsere Arbeitswoche“, sagt Bohdan Piasecki. Von Spielfilm über Dokumentarfilm und Serien bis hin zu einem VR-Projekt reicht zudem die Bandbreite an Projekten. „Es geht darum, zum Kern der Geschichte vorzudringen – und das funktioniert bei allen Formaten gleich“, so Piasecki weiter.
Nach fünf arbeitsreichen Tagen präsentierten die Teilnehmer*innen den neuesten Stand ihrer Story und Charaktere. Der Clou dabei: Niemand stellte sein eigenes Projekt vor, sondern ein Partnerprojekt. „Es kann nochmal ein echtes Aha-Erlebnis geben, wenn man sein eigenes Projekt durch die Augen einer anderen Person sieht. Wir wollten keinen ‚Pitch‘ und keinen Konkurrenzkampf. Und wenn man sein Projekt einer anderen Person gut erklären kann, hat man es auch in der Regel selbst gut verstanden“, sagt Piasecki.
Und wie lautet das Fazit nach fünf Tagen NEST Space? „Ich bin bei solchen Veranstaltungen eigentlich immer etwas skeptisch und hätte wirklich nicht gedacht, dass es so gut funktioniert. Ich bin lediglich mit einer Idee hierher gekommen und habe jetzt erste Charaktere, an denen ich in den nächsten Wochen weiterarbeiten werde“, sagt Nastia Korkia aus Hamburg. Auch Malika Musaeva ist von dem Konzept überzeugt: „Für mich war es eine ganz neue Art des kreativen Arbeitens. Mit sehr viel Praxis und unkonventionellen Wegen. Die fünf Tage haben meine Erwartungen wirklich übertroffen.“ Filmemacher Wiktor Filip Gacparski, der im Space an seinem VR-Dokumentarfilm arbeitete, ergänzt: „Es war toll, mit so vielen talentierten Schreiber*innen zusammenzuarbeiten. Wir haben uns gegenseitig beeinflusst und unsere Geschichten besser gemacht.“
Und genau das war das Ziel.
Für die kommende NEST-Förderung und den NEST Space könnt ihr euch noch bis zum 15. April bewerben. Mehr Infos.